Eine ökologische Reaktion auf eine Naturkatastrophe - verfasst von Hubert Asam

Am 15.September 2022 ist in Cantiano in den Marken in Italien eine Naturkatastrophe geschehen.

Die Bilder gingen um die Welt. 

400Liter Wasser in einer Stunde pro m2 fielen in dieser Nacht in einem schweren Gewitter aus den Wolken über dem Monte Catria. Das Flüsschen „Bevano“ hat sich innerhalb von Minuten zu einem tödlichen Strom entwickelt und alles mit gerissen was sich ihm in den Weg gestellt hat. Tiere, Menschen, Autos, Häuser, Brücken, Bäume, Gärten, Wiesen, Stallungen. Cantiano war danach zerstört, 150 Häuser schwer beschädigt. Strassen waren schlicht nicht mehr da. 2000 Jahre alte Brücken wurden gesprengt. Es lagen Bäume mit 10 Meter Umfang auf Strassen, die Katastrophe war verheerend. 10 Kilometer weiter liegt Cagli eine Ortschaft von 20.000 Einwohnern, auch hier schlägt das Wasser ein, wie eine Bombe.

 

Bereits am Morgen war alles vorbei. Alles lag wie friedlich da, die Wege auf die Berge zu den Pferden waren verschwunden, Cantianos Hauptstrasse war einem tiefen Graben gewichen, ein kleines Rinnsal darin. Der Bevano.

 

Heute am 15. Dezember 2023 sitze ich im Versammlungssaal von Cantiano und höre den Menschen und den Offiziellen zu, Züchterverbände (deren kleinstes Mitglied ich selbst bin) Bauernverbände, der Bürgermeister, die Regierung, die Carabinieri. Es wird ein Projekt vorgestellt. Ein festlicher Anlass kreiert, das Projekt mit großem Aufwand öffentlich gemacht.

 

Worum geht es dabei?

 

„Die Zukunft ist unsere Tradition“ steht auf dem Flugblatt. Darauf ein Muli beladen mit Holz.

Sie haben es verstanden. Sie haben verstanden was zu tun ist und sie haben verstanden dass es nur gemeinsam geht. Sie haben verstanden dass sich jemand die Hände schmutzig machen muß und dass Natur nur mit Natur zu begegnen ist wenn es Schwierigkeiten gibt.

 

Der Bevano hat sich nicht von alleine zu einer Bestie entwickelt, er wurde dazu gemacht. Der Flss war über Jahrhunderte in seinem Bett geblieben und sich durch das kleine Städtchen gewunden, hat die Altstadt umkurvt und sich leise davongeschlichen Richtung Adria.

 

Ein Fluss ist Teil einer Kulturlandschaft so wie es Weiden sind, so wie es Wälder sind, so wie es die Wildtiere sind und es ist ein Zusammenspiel zu sehen von all den Faktoren die ausgewogenes Zusammenleben möglich macht.

Das Wissen darüber war über Jahrhunderte bekannt. Die Leute wussten, dass eine Quelle nur solange Wasser haben wird wie sie mit den Schafen bestimmte Stellen des Berges beweiden.

Heute bohrt man 500 Meter tiefer nach Wasser, früher brachte man Tiere auf Weiden.

 

2015 war ich in Sommieres, einer sehr schönen Stadt am wildesten Flss den ich kenne an der Vis. Eine alte Frau, marschierte an mir vorbei, als sie meinen Hund sieht bleibt sie stehen und sagt: „Davon hatten wir früher 14 Stück, schöne Hunde, etwas wild aber klug und gesund“. Ich konnte das nur bestätigen fragte sie aber was man denn mit 14 Verrückten in Frankreich anderes machen könnte als ein Weinfest.

Sie erzählte mir dass sie früher in Sommières und in der Camargue mit großen Schafherden unterwegs waren, die jungen Schäfer aber keine Hunde und keine Ahnung mehr hätten, dass die nur noch tausend Schafe einpferchen und füttern um das Fleisch zu verkaufen aber die ganze Camargue vor die Hunde geht und in Sommières die größten Hochwasser aller Zeiten kommen. „Denn wir wssten noch, wann und wo man mit den Tieren sein musste damit das alles in seinen Bahnen bleibt“.

Was für ein schönes Erlebnis, sie hatte mir so sehr aus dem Herzen gesprochen und sie hatte meinen wilden Schwarzen sofort als Herdenhund erkannt und richtig eingeschätzt.

 

Land- und Forstwirtschaft übernimmt eine große gesellschaftliche Verantwortung und sie ist das Relais zwischen Natur und Kultur. Mit der Mechanisierung und Optimierung auf hohen Ertrag, mit der Kapitalisierung einer Agrikultur ging die Entwicklung des Bevano einher. Monokultur ist Agrikultur nach Industriellem Vorbild. Zur Agrikultur gehört aber auch der Mensch und sein Gespür zur Natur. In der Agrarindustrie ist das nicht so.

 

Cantiano bildet wieder Menschen aus, die mit Mulis und Catriapferden in die Wälder und an die Flussdämme gehen um dort Holz heraus zu schlagen und zu transportieren. Traditionell ist man in 5er bis 10er Gruppen unterwegs, die Tiere laufen frei nur von gesprochenen Kommandos geleitet. Mulis sind sehr kräftig, 250 Kilo sind kein Problem für sie, auch in steilem Gelände. Sie sind sehr trittsicher und kennen sich in der Gegend hervorragend aus. Genauso wie unsere Catriapferde.

 

Was die letzten 25 Jahre fehlte, waren Menschen die diese Arbeit machen wollen, die diese Tradition leben wollen. Was fehlte ist eine Kultur die diese Menschen geachtet hätte. Ein Mulatiero wird nie einen Ferrari fahren oder auf TikTok 10.000 likes am Tag bekommen. Nike wird ihn sehr wahrscheinlich auch nicht sponsern.

 

Cantiano achtet diese Menschen wieder, unterstützt sie, hilft dabei die Mulis zu züchten, subventioniert die Catriapferde. Deren Ankeuf und deren Haltung. Cantiano will den Fluß besänftigen. Das ist sehr mutig. Das ist sehr klug. Das ist sehr bewundernswert.

 

Wie immer ist ein Weg der den Wegen der Natur folgt kein einfacher Weg.

Er lässt sich auch politisch nicht ausschlachten, denn es wird Jahre dauern bis die Leute und Tiere ausgebildet sind es wird Öffentlichkeitsarbeit brauchen um die Unterstützung der Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Ein Politgeschenk von ein paar Millionen Euro für ein goldenes Kalb, hätte sich besser ausschlachten lassen, aber Cantiano hat sich besser entschieden.

 

Den Mulatieros geht es wie den Schäfern. Sie tragen die Verantwortung für den Umgang mit Natur. Es sind die Schäfer dir mit dem Wolf auf den Weiden umgehen lernen müssen und es sind die Forstleute die den Plan haben müssen und die Mühe aufbringen am Bevano entlang für ein Flussbett zu sorgen das ihn schlafend und friedlich hält. Es gibt keine Ziegen mehr, keine Schäfer, keine Mulatieri, keine kleinen Bauern, die ihre Erde kennen, es gibt industrialisierte Agrikultur mit Sojaschrot aus Brasilien im Futtertrog der Milchfabriken auf vier Beinen. Das macht den Bevano zu einer Bestie.

 

Man muß nur eins und eins zusammenzählen.

Und wißt ihr was? Es kommt zwei dabei heraus.

 

Keine Wölfe - keine klugen Pferde, kein Fleischkonsum - keine Weiden und keine Blumen darauf, keine Mulis – wütender Fluß.

 

Mulis züchtet man aber nicht auf einem Foto für die Zeitung, man züchtet sie ein Leben lang, 24h am Tag. Die Menschen entscheiden sich wieder für diese Wege und das macht große Hoffnung und es macht mich stolz auf uns. Das lange Ansinnen, die vielen tausende von Stunden Arbeit und Hingabe rentieren sich am Ende vielleicht doch.

 

Wenn du nur ein einziges mal in deinem Leben zu deinem Hund in seiner Sprache gesprochen hast, dann hast du etwas für die Natur getan, das noch in der übernächsten Generation Bestand haben wird, denn es heißt Natur zu respektieren.

Deshalb sprechen wir mit unseren Hunden in deren Sprache und sie sprechen zu den Schafen und Ziegen und wenn wir mit Pferden sprechen tun wir es in deren Sprache und respektieren sie damit. Das wird niemals vergehen.

 

Wenn wir mit Mulis, mit Pferden, mit Hunden sprechen müssen wir wissen dass wir damit eine Beziehung zu ihnen aufbauen.

Diese Beziehung ist frei, niemand ist abhängig.

Diese Beziehung ist respektvoll und das wichtigste ist: sie schafft Vertrauen.

Vertrauen ist das, was Liebe in der Natur am nächsten kommt.

 

Deshalb wird es den Bevano zufrieden machen wenn Menschen mit Catriapferden in den Wald gehen um das Holz so zu schlagen dass es allen gut gehen kann. Cantiano hat sich richtig entschieden. Mehr als das, es hat sich vertrauensvoll entschieden.

 

Wie froh uns das alle machen kann, denn so wird es eine Zukunft geben.

Wer ein Muli beladen kann ist ein Naturschützer ersten Grades und kein Klugscheißer im Internet, der nur seine Moral in der öffentlichen Meinung poliert um als Narziss die Nase vorne zu haben in Dingen die ihn nichts angehen.

Wir brauchen Naturschützer erster Kategorie.

 

Ich war 1994 in „Lac Brochet“ in Manitoba in einem Tipi mit ca 20 Menschen die mir über das Leben und wie es dort im kanadischen Busch ist erzählt haben. Sie haben ihr Wissen geteilt und im Grunde genommen hieß es: Die Natur ist groß, sie hat viele Wege, wir sind sie und sie ist wir, du musst sie spüren und respektieren. Trau nicht deinen Augen, trau deinen Gefühlen, dann wird die Natur dich so respektieren wie du sie. Sie ist größer als Du, aber alles in dir ist auch sie und alles von ihr ist auch in dir sichtbar. Es ist eine große Kraft. Wir dürfen dieses Wissen nicht verraten, wir müßen mit der Natur so sprechen wie sie ist.

 

Vielschichtig. So vielschichtig wie du fühlst, so vielschichtig ist unsere Welt beschaffen. Wäre es nicht so, würdest du anders oder gar nicht fühlen. Jeder Mensch in diesem Tipi hatte seinem Geist ein Tier zugesprochen bekommen. Eines das ihm zeigt wie er selbst ist. Jeder Mensch hat dieses Tier bei sich.

 

Wenn jemand dieses Wissen hat, liegt es auf der Hand, dass nach dem Hochwasser vom 15. September 2022 die Entscheidung zu treffen zu den Traditionen zurück zu kehren. Zum Wohle aller.

 

Ökologisch auf eine Naturkatastrophe zu reagieren ist mehr als klug, es ist das einzig richtige und es gibt auch noch andere Naturgegebenheiten als den Bevano die wir besänftigen müssen. Wir haben noch eine viel grössere Aufgaben zu stemmen und wir sollten dies nach dem Vorbild von Cantiano tun.

 

Colondello 15.Dez 2023